Arbeiten Mensch und Roboter ohne Schutzzaun zusammen, können beide ihre Vorteile voll ausspielen. Für ihre sichere Zusammenarbeit wurden normative Voraussetzungen geschaffen. In vielen Unternehmen sind bereits kollaborative Roboterzellen im Einsatz. Doch was ist bei der Planung und Konstruktion solcher Roboterzellen zu beachten? Dieser Beitrag von Schmersal weist Ihnen den Weg.

Schmersal kollaborative Roboterzelle

Inhalt

 

Roboter hinterm Schutzzaun

Jahrzehnte lang galt in der automatisierten Fertigung eine eiserne Grundregel: Die Arbeitsbereiche von Mensch und Roboter müssen strikt getrennt sein. In der Praxis bedeutet das, dass der Roboter hinter einem Schutzzaun seine Arbeit verrichtet, während sich der Mensch frei bewegt. Es bedeutete aber auch, dass beide nicht wirklich zusammenarbeiten können.

Seit vielen Jahren gibt es allerdings auch schon Bestrebungen, die sichere und normenkonforme direkte Zusammenarbeit von Mensch und Roboter zu ermöglichen. Auch die Schmersal Gruppe war und ist bereits seit mehr als zwanzig Jahren an der Umsetzung beteiligt. Mit der sicheren Robotersteuerung „Safety Controller“ hat das Unternehmen eine Sicherheitssteuerung entwickelt, die den Arbeitsbereich des Roboters begrenzt und überwacht. Damit wird eine wichtige Voraussetzung für echte Kollaboration ohne trennenden Schutzzaun geschaffen.

Direkte Kooperation von Roboter und Mensch

Heute werden die auch Cobots genannten kollaborativen Roboter in vielen Aufgabenfeldern und Unternehmen eingesetzt. Meist kommt es dabei zu einer Arbeitsteilung, bei der beide Parteien ihre Vorteile ausspielen können. Der Cobot bringt seine Kraft, Wiederholgenauigkeit und Ermüdungsfreiheit ein, der Mensch ergänzt diese Eigenschaften mit Intelligenz, Wahrnehmungsfähigkeit, Erfahrung und Problemlösungskompetenz.

Die Kombination dieser Skills kann die Flexibilität im Montage- oder Produktionsprozess deutlich erhöhen. Denn im Zeitalter von Industrie 4.0 werden immer häufiger kleine Serien produziert oder auf einer Linie verschiedene Produkte gefertigt.

Kollaborative Roboterzellen und ihr hoher Nutzwert

Schmersal kollaborative Roboter SteuerungEs wird unterschieden zwischen kleineren Cobots, die ohne Schutzzaun in die Produktion oder Montage integriert werden, und kollaborativen Roboterzellen, bei denen größere Roboter und Bediener in einem durch Schutzeinrichtungen getrennten und abgegrenzten Bereich zusammenarbeiten. Der zweite Fall soll hier betrachtet werden.

Eine solche Zelle braucht einen Schutzzaun mit Schutztüren sowie Zuführmöglichkeiten in den Gefahrbereich hinein und aus ihm heraus. Ein Beispiel sind Förderanlagen oder Übergabestationen für die zu bearbeitenden Produkte. Die Zelle benötigt hingegen keine physische Trennung bzw. Absicherung zwischen den Arbeitsbereichen von Mensch und Roboter mehr.

Vielmehr arbeiten beide in einem Arbeitssystem als Teil der Smart Factory zusammen. Weil diese Kooperation vorteilhaft ist, gibt es viele Cobot Hersteller und mindestens ebenso viele Systemintegratoren, deren Anlagen auch dank der Cobots hochproduktiv kleinere Losgrößen herstellen.

Klare Grundsätze zur Kollaboration von Robotern

Viele produzierende Unternehmen in verschiedensten Branchen fragen sich, was sie bei der Konstruktion und im Betrieb solcher Roboter-Zellen mit Mensch-Roboter-Kollaboration beachten müssen.


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Für diese neue Art der Zusammenarbeit wurden normative Grundlagen geschaffen. Diese haben zum Ziel, den Roboter mit Sicherheitseinrichtungen auszustatten, die den Menschen schützen. So wurde der Roboter zum Cobot. Wie generell in der Maschinensicherheit bzw. im Geltungsbereich der Maschinenrichtlinie gilt auch für kollaborative Roboter die Normenpyramide mit harmonisierten Typ A-, Typ B- und Typ C-Normen.

Die allgemeine Normenpyramide

Schmersal Roboterzelle SicherheitAls Typ A-Normen bezeichnet man die Sicherheitsgrundnorm EN ISO 12100 (Risikobeurteilung). Die Typ B1-Normen werden etwas konkreter. Sie befassen sich mit speziellen Sicherheitsaspekten. Beispiele sind die bekannte EN ISO 138349 für sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen und die EN ISO 11161 für integrierte Fertigungssysteme. Die Typ B2-Normen treffen Vorgaben zu einzelnen Arten von Sicherheitsgeräten wie Not-Halt-Einrichtungen (EN 13850).

Speziell für die Robotik gibt es mehrere Fachnormen oder Typ C-Normen. Dazu gehören:

  • EN ISO 10218: Industrieroboter – Sicherheitsanforderungen, gegliedert in Teil 1 (Roboter) und Teil 2 (Robotersysteme und Integration). Hier werden Sicherheitsanforderungen an Roboterzellen definiert.
  • EN ISO 11161: Sicherheit von Maschinen – Integrierte Fertigungssysteme – Grundlegende Anforderungen
  • ISO/ TS 15066: Roboter und Robotikgeräte – kollaborierende Roboter

Letztere Norm ist allerdings nicht harmonisiert, das bedeutet sie ist nicht unter der MRL gelistet.

Des Weiteren steht die Normenreihe EN ISO 10218 kurz vor der Veröffentlichung einer überarbeiteten Version. Teil zwei der Normenreihe wird ab diesem Zeitpunkt die Anforderungen der ISO/TS 15066 beinhalten, sodass die Anforderungen an Systeme für die Mensch-Roboter-Kollaboration bald vollständig der EN ISO 10218-2 entnommen werden können.

Neben den Normen gibt es weitere hilfreiche Dokumente zum Thema Maschinensicherheit bei kollaborativen Robotern. Zum Beispiel befasst sich die DGUV-Information 209-074 „Kollaborierende Robotersysteme“ samt Checkliste sowie ein VDMA-Positionspapier „Sicherheit bei der Mensch-Roboter-Kollaboration“ und mehrere nützliche Whitepapers vom TÜV Austria mit dem Robotik-Thema.

Der Weg zum kollaborierenden Arbeitssystem nach ISO/TS 15066

Schmersal RoboterzelleDie EN ISO 10218 definiert die Räume, die bei der Gestaltung der Sicherheitsmaßnahmen von Roboterzellen zu berücksichtigen sind. Es betrifft den maximalen Raum, den eingeschränkten Arbeitsraum, Betriebsraum und geschützten Bereich kollaborativer Roboter.

Darüber hinaus gibt es bei kollaborierenden Robotern einen Kollaborationsraum, der in der EN ISO 10218-1 und in der ISO/TS 15066 beschrieben wird. In ihm können sich Mensch und Roboter gleichzeitig aufhalten und Aufgaben ausführen. Die entsprechende Betriebsart nennt sich „kollaborierender Betrieb“.

Damit ergibt sich auch bei der Gestaltung der Schutzeinrichtungen kollaborierender Roboter bzw. auf dem sicheren Weg zum Cobot eine Dreierpyramide:

  1. Konstruktion/Auswahl des Roboters nach ISO 10218-1 (Roboterhersteller)
  2. Gestaltung der Roboterzelle nach ISO 10218-2 und ggfs. auch ISO 11161 (Integrator)
  3. Berücksichtigung der ISO/-TS 15066 für den kollaborierenden Betrieb (Integrator).

Anforderungen bei kollaborierendem Betrieb

Was sind die konkreten Anforderungen für den Entwurf und die Planung einer Roboterzelle als „kollaborierendes Arbeitssystem“ gemäß ISO/-TS 15066? Ist das Layout der Zelle definiert, sollte der Konstrukteur die Gefährdungen ermitteln sowie eine Risikobeurteilung durchführen. Daraus ergeben sich die notwendigen Maßnahmen zur Risikominderung. Die für ein kollaborierendes Arbeitssystem zulässigen Maßnahmen werden in der ISO/-TS 15066 beschrieben und sind dort mit den entsprechenden Anforderungen definiert.

Gestaltung des Layouts der Roboterzelle

Die Gestaltung des Layouts ist ein Kernprozess bei der Risikominderung in kollaborativen Roboterzellen. Im Layout legt der Konstrukteur die oben genannten Räume, einschließlich des Kollaborationsraums, fest, ebenso die Zugänge zu den Gefahrenbereichen. Dabei sollten die Ergonomie an der Mensch-Maschine-Schnittstelle bedacht werden und der ggfs. der zusätzliche Raum für Nachlaufbewegungen des Roboters, der z. B. nach der Betätigung der Not-Halt-Einrichtung benötigt wird.

Besondere Gefährdungen berücksichtigen

Konstrukteur bzw. Sicherheitsingenieur müssen zudem das besondere Gefährdungspotenzial durch Roboter beachten und diese in die Risikobeurteilung mit einbeziehen. Denn es war ja nicht grundlos so, dass die Arbeitsbereiche von Mensch und Roboter in der Vergangenheit strikt getrennt werden mussten. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang die Gefährdungslisten im Anhang A der EN ISO 10218-1 und EN ISO 10218-2, die speziell auf die Gefährdungen von Robotern und denen in Roboterzellen eingehen.

Das Gefährdungspotenzial besteht unter anderem darin, dass sich ein Roboter mit hoher Energie bei großer Reichweite bewegt und sein Verfahrweg nur schwer vorhersehbar ist. Auch ist damit zu rechnen, dass mehrere Roboter in einem gemeinsamen Betriebsraum arbeiten. Deshalb ist der Kollaborationsraum eindeutig festzulegen. Jeder Bediener in diesem Raum bzw. im Arbeitsbereich des Roboters muss ein eigenes Steuerungselement mit sich führen. Auch ist der Einsatz einer sicheren Software zur Achs- und Raumbegrenzung vorgeschrieben. Diese wird in der Regel vom Roboterhersteller bereitgestellt.

Möglichkeiten zur Gestaltung eines kollaborierenden Betriebes

Schmersal Cobots LichtgitterDie ISO/TS stellt vier Möglichkeiten für die Kollaboration zwischen Bediener und Roboter in den Mittelpunkt. Zu diesen zählen:

  • Hand-Führung des Roboters (Bewegung des Roboterarms durch menschliche Krafteinwirkung)
  • Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung (Verringerung der Geschwindigkeit durch Abstand)
  • Sicherheitsbewerteter überwachter Halt (Stoppkategorie 2, Wiederanlauf beim Verlassen vom Kollaborationsraum)
  • Leistungs- und Kraftbegrenzung (Risikominderung durch reduzierte Kräfte).

Fast alle diese Methoden erfordern Steuerungstechnik, sodass zusätzliche Sicherheitsfunktionen zu bewerten sind.

Leistungs- und Kraftbegrenzung in der Mensch Roboter Kollaboration

Die wesentliche Gefährdung bei der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ist der unbeabsichtigte Kontakt von beiden. Bei der Leistungs- und Kraftbegrenzung sollen daher die Folgen solch eines Kontakts minimiert werden. Wenn es im Kollaborationsraum zu einem Kontakt kommen kann, müssen die auf die einzelnen Körperteile bezogene Belastungsgrenzwerte berücksichtigt werden.

Das kann durch passive Arbeitsschutz-Maßnahmen umgesetzt werden wie durch Schaumstoffpolster, eine größere Kontaktfläche oder eine Begrenzung der bewegten Massen. Der Konstrukteur kann zudem aktiv mittels Steuerungstechnik vorbeugen, indem er Kraft oder Drehmoment begrenzt oder Sensorik integriert, die den Bediener detektiert.

Sichere Überwachung der Cobots

Beim kollaborierenden Betrieb von Roboterzellen müssen somit verschiedene Sicherheitsfunktionen realisiert werden. Abhängig vom kollaborierenden Betrieb müssen Kraft, Drehmoment, Geschwindigkeit oder Position der Roboterachse sicherheitsgerichtet überwacht werden. Ein Betriebsartenwahl- und Zustimmungsschalter gehörten in der Regel ebenfalls zur sicherheitsbezogenen Ausstattung. Die entsprechenden Produkte bzw. Systemlösungen stellt das bewährte Schmersal-Portfolio zur Verfügung.

Nach der Gestaltung: Verifizierung und Validierung

Gemäß ISO/TS 15066 ist das Ergebnis der Gestaltung einer kollaborativen Roboterzelle abschließend zu verifizieren und zu validieren. Aufgrund des hohen Gefahrenpotenzials in der Robotik ist dieser Schritt elementar, um die Sicherheit abschließend zu bestätigen und die Konformität nach Maschinenrichtlinie zu erreichen. Dabei und bei den vorgelagerten Arbeitsschritten wie Konformitätsbewertung, Risikobeurteilung, Kraft- und Druckmessung unterstützen die Dienstleistungen vom Schmersal tec.nicum die Anwender. Die Safety Consultants haben die nötige Expertise und eine hohe Branchenkompetenz in verschiedensten Bereichen der industriellen Automation.

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Autorenangabe
Benjamin Bottler

Benjamin Bottler M.Sc. ist Safety Consultant in der Schmersal Gruppe, Wuppertal.