Neben Siemens und der Deutschen Bahn experimentiert auch der Kölner Kunststoffspezialist Igus mit dem Industrial Metaverse. Die dabei entstehenden digitalen Paralleluniversen könnten wie einst die Einführung von Fließband oder Robotik disruptiv auf Vertrieb, Engineering und Service wirken. Ich habe mich direkt ins Iguversum begeben und fühlte mich wie die Hauptdarstellerin von James Camerons noch nicht erfundenen Blockbuster "Avartar Industry".
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Zunächste schaue ich skeptisch auf die Versuche einer Kollegin, die ausgerüstet mit der VR Brille ein wenig unbeholfen versucht, ihre virtuellen gelben Füße auf den Boden zu bekommen. Als sie diese dann findet und offensichtlich Spaß daran zu haben scheint, starte ich mutig auch einen Versuch und begebe mich in die virtuellen Welten von Metaverse im Iguversum.
Angeleitet und im virtuellen Raum von Pressesprecher Oliver Cyrus begleitet, finde ich schnell meine Füße und kann mich im Raum bewegen. Wobei Raum weit, weit untertrieben ist, will man die virtuelle Umgebung umschreiben. Ich befinde mich in einem großzügig verglasten, modernen Gebäude, welches in einer äußerst reizvollen Umgebung steht. Die Mischung aus Malediven und Bali draußen lässt Fernweh aufkommen.
Mit einem Avatar durch virtuelle Welten rennen, mit Freunden Abenteuer erleben oder zusammen gegen wütende Zombies kämpfen: Das ist der Alltag für die Generation Z, aber bisher ja nicht für mich. Mein letztes Spiel, was ich auf dem Comuter gezockt habe, war Anno. Seitdem hat sich scheinbar viel verändert. Und ich bin begeistert.
Den Begriff Metaverse hat übrigens nicht, wie einige denken, Mark Zuckerberg kreiert. Vielmehr hat der Science-Fiction Autor Neal Stephenson das Metaverse erstmals in seinem Roman Snow Crash als die Welten bezeichnet, in denen sich heute die zwischen 1995 und 2010 Geborenen in Spielen wie Fortnite oder Roblox ganz selbstverständlich durch digitale Paralleluniversen bewegen.
Der digitale Raum ist für die Industrie allerdings mehr als nur eine Spielerei. Der digitale Raum oder das Metaverse zählen heute zu den technologischen Trendthemen. Die Unternehmensberatung Mc Kinsey schätzt, dass der digitale Raum bzw. das Metaverse bis 2030 einen Marktwert von bis zu fünf Billionen US-Dollar erreichen könnte. Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz, Machine Learning und 5G werden ausreichend Durchschlagskraft entwickeln, um die Industrie tiefgreifend zu verändern.
Unternehmen spiegeln schon heute im Industrial Metaverse ihre Technologie als 3D-Modelle. Teams aus allen Teilen der Welt können dann über Kontinente hinweg als Avatare im digitalen Raum zusammenarbeiten. Sie planen Maschinen, Anlagen und ganze Fabriken schneller, sicherer und wirtschaftlicher als es in der physischen Realität möglich ist.
Nicht nur Rockstars nutzen inzwischen das Metaverse für ihre Zwecke wie die etwas betagten Musiker der Band ABBA, die beträchtlicht verjüngt als Abbatare in London auftreten. Auch in der Industrie kommt die virtuelle Welt so langsam an und zieht das Interesse der großen Konzerne und innovativen Unternehmen an. So zeigt zum Beispiel die Digital Native Factory von Siemens im chinesischen Nanjing, wie das Engineering im Metaverse ausschaut. In dem Fertigungszentrum werden CNC-Systeme, Antriebe und elektrische Servomotoren gefertigt. Die Besonderheit ist der Digitale Zwilling Ansatz. Siemens hat vor dem Bau der smarten Fabrik die gesamte Infrastruktur mit allen Maschinen und Anlagen mit einem Digital Twin simuliert. Damit konnten die Planer Gebäudeabmessungen, Materialflüsse und Medienversorgungen wie Strom, Stickstoff und IT genauer denn je planen.
In der digitalen Welt optimieren, um es in der realen Welt beim ersten Mal richtig zu machen, lautet die Devise. Als Ergebnis konnte das Unternehmen Planungsfehler, die früher viel Zeit und Geld gekostet hatten, frühzeitig ausräumen. Mit dieser digitalen Planung konnte die Produktivität der Fabrik um 20 % gesteigert werden. Im nächsten Schritt plant Siemens die Erzeugung digitaler Zwillinge, welche nicht nur wie echte Maschinen ausschauen, sondern sich wie solche verhalten. Simulieren Techniker z. B. einen Temperaturanstieg in der Umgebung, können sie die Reaktionen der Digital Twins betrachten und Rückschlüsse auf die realen Auswirkungen ziehen.
Ich hüpfe inzwischen von einer Demonstration zur nächsten im Iguversum und werde immer sicherer. Ein Roboterarm erzeugt meine besondere Aufmerksamkeit. Mit meinen zwei Joysticks kann ich ihn anfassen, groß und klein ziehen und sogar auseinandernehmen. Herr Cyrus meint, das sei nur der Anfang. Denkt man ein paar Schritte weiter, können sich Kunden und Igus Mitarbeiter in einigen Iguversum Versionen weiter die Igus Produkt sehr viel detailreicher anschauen. Was heute noch mega begeistert, werde morgen richtig sinnvollen Nutzen bringen.
Igus möchte mit Metaverse den Vertrieb revolutionieren. Kunden sollen bei Beratungsterminen eine VR Brille aufsetzen und in das Iguversum eintauchen. In diesem virtuellen Raum sind dann alle Produkte als digitale Zwillinge wahrnehmbar. Beinahe hautnah lässt sich das 3D Modell eines Mini-Vans bestaunen, in dem Igus Produkte aus Hochleistungskunststoffen verbaut sind. Auch das zu 100 % aus Kunststoff bestehende Urban Bike ist schon im Metaversum angekommen. Mindestens genauso interessant ist es, die Infrastruktur darzustellen. Das 3.800 m² große virtual Labor testet an hunderten Stationen jedes Jahr tausende von Produkten.
Mir reicht das heute allerdings schon an Eindrücken. Denn als ich im Gebäude zwischen verschiedenen Plattformen immer höher hüpfe, lande ich irgendwann auf der Spitze des Gebäudes. Ein Blick in die Tiefe versetzt mir einen Schock und die virtuelle Realität spielt mir einen realen Streich. Eigentlich nicht von Höhenangst geplagt, traue ich mich dennoch nicht mehr, mich auch nur geringfügig zu bewegen. Vor und unter mir nix als Wasser, kein schützendes Geländer, an dem ich mich festhalten könnte. Oliver Cyrus meint, ich solle einfach wieder runterspringen, doch das traue ich mich nicht. Noch nicht.
Ortsunabhängig können Ingenieure und Materialexperten aus aller Welt im Iguversum zusammen arbeiten. Dass Produkte auf neue Art und Weise erlebbar werden, ist nur die erste Evolutionsstufe des Iguversums. Die Kölner Motion Plastics Spezialisten planen, dass künftig Kunden, Ingenieure und Materialexperten aus aller Welt als Avatare im digitalen Raum zusammenkommen. Hier können sie dann ganze Engineering Projekte durchführen – und zwar schneller und reibungsärmer als es in der physischen Welt allein möglich ist.
Es entfallen Reisetätigkeiten, E-Mail-Korrespondenzen und Telefon-Odysseen. Projekte werden von Beginn an anschaulicher und begreifbarer. Statt abstrakte Datenblätter auszutauschen, können Ingenieure im Iguversum 3D-Modelle von Maschinen und Anlagen erstellen. Mit VR Brillen können die Teamplayer die digitalen Zwillinge von allen Seiten betrachten und so schneller eine Vorstellung von Größe und Funktionsweise gewinnen.
Igus möchte das Metaverse aber nicht nur für das Engineering sondern auch für Betrieb und Service nutzen. Im After-Sales Metaverse könnten sich in Zukunft Maschinenbetreiber und Techniker treffen, um Produktschulungen durchzuführen. Die Erfahrung soll nahezu lebensecht und somit wesentlich effektiver sein als Schulungsvideos. Davon scheint übrigens auch die Deutsche Bahn überzeugt. Sie nutzt in ihren Schulungszentren inzwischen Smart Glasses und intelligente Software. Nachwuchstechniker können sich damit Weichen oder Stellwerke virtuell anschauen und mit den digitalen Zwillingen interagieren.
Ein Teil der Vision von Igus ist es, das virtuelle Iguversum mit der Wirklichkeit zu verschmelzen. Geschehen soll das in Form einer Brückentechnologie mit der Augmented Reality (AR), die viele Menschen vom Computerspiel Pokémon Go kennen. Die Mitspieler betrachten ihre Umgebung durch die Kamera ihres Smartphones und jagen eingeblendete virtuelle Fantasiewesen. Hier mischt sich die reale mit der virtuellen Welt, von der auch Ingenieure profitieren können.
Die ganze Welt der Igus Roboter
Sie können 3D-Modelle aus dem Iguversum über eine AR Software von Igus in ihrer Umgebung positionieren. So gewinnen sie frühzeitig einen Eindruck, ob die reale Umwelt mit der geplanten Maschine in Einklang gebracht werden kann. Solch ein vergleichbares Experiment hat Igus schon für den Vertrieb entwickelt wie folgendes Beispiel zeigt:
Vertriebsmitarbeiter hatten früher kaum Chancen, ins Innere einer geschlossenen Energiekette der Serie Triflex zu blicken. Einige mechanische Prinzipien blieben allein der Vorstellungskraft des Gegenüber überlassen. Mithilfe der Software lässt sich nun das Produkt durch die Smartphone-Kamera betrachten. Die Software überlagert das Bild in Echtzeit mit einem virtuellen Zwilling. Das Ergebnis ist eine Art Röntgenblick ins Innere der Musterkette auf die Mechanik. Erklärungsbedürftige Produkte werden damit dank der Augmented Reality lebendig.
Wie schnell und in welche Richtung sich das Industrial Metaverse entwickelt, wird sich erst noch zeigen. Neben den Unternehmen, die die Technik erst möglich machen, sind es auch die Benutzer selbst, die darüber entscheiden.
Zum Glück dauern die Fachpressetage zwei Tage und ich hatte genügend Zeit, mir über Nacht Mut anzuschlafen. Fest entschlossen begebe ich mich am nächsten Morgen noch einmal ins Iguversum. Ich erklimme sehr viel schneller das Gebäudedach und werde Herr bzw. Frau meiner Vorstellungskraft. Ein bisschen kann ich mich jetzt in die Avatare in James Camerons Blockbustern hineinversetzen, nur ist mein Schauplatz sehr viel eingeschränkter. Leichten gelben Füßens springe ich von Plattform zu Plattform schließlich wieder runter und schaue mich weiter in den Produktpräsentationen um.
Mein Bauchgefühl vermittelt mir voller Euphorie, dass die Erfindung des von mir schon so lange ersehnten Beamens endlich in greifbare Nähe rückt. Als ich im Jahr 2010 auf einer Presseveranstaltung von Solidworks Regisseur James Cameron fragte, wie er das sieht, bekam ich keine zufriedenstellende Antwort. Seine Avatar Blockbuster beeindrucken mich dennoch und jetzt bin ich sogar selber ein Avatar. Im Metaversum von Igus fühlt es sich schon ein wenig so an, als würde man sich ins Iguversum selbst und vor Ort zumindest von einem Stockwerk zum anderen beamen können.
Doch muss hinter all diesem Entwicklungsaufwand auch ein sinnvoller Nutzen gegenüberstehen. Daher setzen die Kölner wie bei allen ihren Experimenten immer den Kundennutzen voran unter der Fragestellung: 'Ist das Tech oder kann das weg?' Für mich würde es aus heutiger Sicht schon Sinn machen, die Iguversum Technologie weiter voran zu treiben.
Weltweit erstes Urban Bike aus recyceltem Kunststoff
Eine Umfrage des Softwareherstellers Teamviewer zeigt übrigens: Von 2500 ausgewählten Personen, die den Begriff Metaverse schon einmal gehört haben, hatte die Mehrheit keine Vorstellung vom Industrial Metaverse. Fast 70 % waren nicht über die Technologie informiert. Vor dem großen Durchbruch steht also noch eine Menge Aufklärungsarbeit.
Das Metaverse ist ein Begriff, der eine virtuelle Welt beschreibt, in der Menschen, digitale Objekte und Umgebungen miteinander interagieren und existieren. Es ist ein erweiterter Teil des Internets, der 3D-Visualisierungen, Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und andere immersive Technologien kombiniert, um Benutzern ein immersives und interaktives Erlebnis zu bieten. Im Metaversum können Menschen als Avatare miteinander interagieren. Nutzer können soziale Interaktionen z.B. auf Social Media pflegen, an virtuellen Veranstaltungen teilnehmen, Geschäfte betreiben oder sogar eigene digitale Immobilien besitzen.
Sie können zusammen arbeiten, etwas demonstrieren, miteinander kommunizieren oder zusammen spielen. Dabei schauen sie nicht nur auf einen Bildschirm, sondern sie befinden sich direkt in dieser virtuellen Welt, indem sie z. B. durch Virtual Reality Brillen (VR) schauen und sich mittels Joysticks darin bewegen. Nachdem das Metaverse in der Tech Szene schon länger die Runde macht, bekam das Internet der Zukunft neuen Aufwind, als Mark Zuckerberg, der Meta Chef, Milliarden investieren wollte und seinen eigenen Konzern in Meta umbenannte. Dennoch ist er nicht der Namensgeber, denn der Begriff Metaverse wurde von Neal Stephenson in seinem Roman Snow Crash erfunden.
Das Metaverse ist ein Konzept, dass inzwischen weit über die Seiten des Science Fiction-Roman hinausgewachsen ist. Es handelt sich dabei um eine virtuelle Welt, die verschiedene digitale Welten und des Internets miteinander verbindet in der man als Nutzer interagieren kann. Der Einstieg ins Metaverse erfordert in der Regel eine Virtual Reality (VR) Brille oder ein ähnliches Gerät und spezielle Software oder Plattformen, um in die virtuellen Welten einzutauchen. Die Bedeutung des Metaverse geht weit über die des herkömmlichen Internets hinaus, da es eine völlig immersive und interaktive Erfahrung bietet, in der nahezu alles von sozialen Interaktionen bis hin zu virtuellen Geschäftsmöglichkeiten, möglich ist.
Angela Struck ist Chefredakteurin des developmentscouts und freie Journalistin sowie Geschäftsführerin der Presse Service Büro GbR in Ried.